Reflexion Postapo-Kasten Pt.#1

80 Stunden “Was soll das hier? Was machen wir hier?”

Eigentlich haben wir dafür doch das große Poster an der Bauwagentür aufgehängt. Darauf steht, in Schriftgröße 123, „Was soll das hier? Was machen wir hier?“ Und dann steht da so eine Art Performance-Konzept. Trotzdem muss irgendwer immer, ständig, geschätzte alle drei Minuten, einem Passanten erklären, was das hier soll und was wir hier machen.
Irgendwann entwickelt sich daraus eine meditative Routine: Wer gerade eine Auszeit brauch, der übernimmt eine Erklärungs-Schicht, jaja, wir hausen hier, 80 Stunden, Start ohne WasserEssenKaffeeKlopapierBlabla. Ab und an meint einer, wir wären hier irgendwie politisch, die Frage „Occupy?“ fällt ganz häufig, Kafkas Hungerkünstler wird stündlich herangetragen und ein Hipster dreht sich mit den Worten weg: „Kunst? Voll schwul Alter!“
In 90% der Fälle ist der Erlanger aber ganz angetan, findet das toll, endlich mal was anderes, und dann kommen immer Assoziationen auf das romantische Künstlerleben. Und schließlich, die große, schwere Frage, was wir hier damit ausdrücken wollen. Anfangs hatte man auch dazu Standard-Antworten, die standen ja schon im Konzepttext bei der Bewerbung:
Kunst unter Bedingungen der freien Märkte der Postapokalypse.
Aber irgendwie kommt uns das mit jedem Mal ausgedachter vor.
Wir verlieren zunehmend die Distanz zu dem, was wir hier machen, warum wir das machen, worum es uns geht. Eigentlich geht es nur noch um Produktionslisten, die abzuarbeiten sind, um diesen blöden Geburtstagssong, zu dem sich kein Refrain findet; um eine fehlende Gaskartusche, um endlich endlich mal unseren Campingkocher mit der 10er-Packung Magic Asia Nudeln kombinieren zu können. Das ist echt gerade genug, da kann ich nicht auch noch darüber nachdenken, ob ich hier etwas ausdrücken will.
Die Leute schauen sich trotzdem die Bilder an, Phil spielt etwas auf der Gitarre vor, und dann fällt wieder das Wort Romantik. Wirklich romantisch wurde es aber vor Allem in den Nächten, wenn wir im Zelt sitzen, irgendwelche Leute mit dabei. Rücken an Rücken wird gearbeitet, Kili zeichnet, Phil bastelt an seinem Minimal-Track, und Stefan liest immer etwas vor. Anfangs ist man noch etwas erschrocken, wenn plötzlich Passanten ins Zelt kamen, gerade nach 1h waren es ja auch recht viele Betrunkene. Einmal gab es Probleme mit zwei Schlägern, die unser Bier klauen wollten, einmal wurde unsere Zeltschnur abgerissen. Meistens saß man aber einfach zusammen, und während wir an unseren Stationen vor uns hin arbeiten (und einer mal wieder erklärt, was das soll und was wir hier machen), währenddessen tauscht man sich darüber aus, was die Leute so von uns wollten, und was wir spannender fanden als anderes. Das war der erste richtige Eintritt in diese Performance, wenn man sie so nennen will: Zusammensitzen und sich austauschen, in diesem Kasten einen kleinen öffentlichen Raum anbieten, wo man auch um 3uhr nachts
Schutz vor Regen findet und Gitarrensongs, Texte und Bilder auf einen warten. Der zweite Eintritt kommt dann, wenn Lukas in die Runde fragt, was sich denn auf „Apokalypse“ reimt und eine schüchterne Schülerin (die viel zu spät in der Stadt unterwegs ist) zurückfragt, „wie, dürfen wir da auch was dazu sagen?“
Dann kann man wieder erwidern, dass das Teil des Konzepts wäre – als hätte es eines gegeben. Irgendwann behaupten wir so etwas nicht mehr. Phil fällt als erstem auf, dass wir hier gar nichts sagen wollen, sondern einfach nur mit Leuten reden möchten. Austauschen, zurückfragen, mit den Schultern zucken, sich wundern: ist eine „Ode auf den Pflasterstein“ Kunst oder nicht? Die angetrunkenen Fußballer und der ältere Herr mit dem Schnauzbart haben sehr verschiedene Meinungen dazu. Lukas ist das herzlich egal, er will nur damit fertig werden.
Erst in der letzten Nacht finden wir eine Lösung für unser Problem, hier nicht viel zu sagen zu haben, aber permanent Worte produzieren zu müssen: Kili verspricht einem Besucher ein richtig tolles Bild für seine Mutter, dafür, dass der ab sofort unsere Intro-Texte macht. Über Stunden erklärt er dann jedem der hereinkommt mit flammender Begeisterung, was das hier soll und was wir hier machen. Ziemlich schön, das mal endlich zu wissen.
Am Ende hat er sich sogar ein Konzept für uns ausgedacht:
Wir versuchen hier auszuprobieren, ob Kunst dazu gut sein kann, Geschichten mit Menschen zu erleben.
Gut zu wissen

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