Reflexion Postapo-Kasten Pt.#2

80 Stunden Überleben

Für die ersten zwei Stunden nach der Eröffnung fürchten wir noch, zu wenig Wasser oder Essen zu haben. Dann, nach nur einem Tag, schwimmen wir im Überfluss. Die Grundbedürfnisse sind schnell abgedeckt: Wasser, Toilettenpapier, Seife und Zahnpasta haben wir in Minuten zusammen. Ein Mäzen lädt uns alle in die Kulisse zum Essen ein (Kili hütet den Kasten alleine), ein anderer kümmert sich um das nächste Mittagessen, das nächste Abendessen, usw… Man kann als Mensch nicht unbegrenzt oft am Tag essen, und irgendwann stehen einfach zu viele selbstgebackene Kuchen, Plätzchen, Tupperdosen und Care-Pakete auf und um den Kühlschrank. „ICH KANN NICHTS MEHR ESSEN“ wurde schnell zur Universal-Antwort auf jede Frage. Und Lukas hat mehr geraucht als in der Woche, als ihn einmal seine Freundin verlassen hat.
Unsere Produktionszeiten dafür variieren stark. Während ein Abendessen aus selbstgemachtem Geschnetzeltem mit Reis teils relativ leicht verdient ist (die „Ode an den Plasterstein“, ca. 3h Arbeit), hat jeder von uns seine Nemesis: einen Job, der ein Kastenwesen für einen Kasten Bier oder zwei Sixpacks Wasser tagelang bindet. „Ja, ich arbeite mal wieder ein paar Stunden an diesem Minimal Track weiter“ ist schnell ein Running Gag.
Dennoch: Zuerst sind wir überrascht, wieviele Konsumprodukte man täglich verwendet, die man sich nun erst verdienen muss (Deo-Spray!);
dann aber ganz schnell: Wenn der Essenbedarf mal gedeckt ist, wenn auch Alkohol nicht weiterhilft, da wirklich Jeder uns einen Rotwein mitbringt und wir richtig guten teuren alten Whisky auf den Bierkästen stehen haben, dann gehen einem einfach die Ideen aus. Zumal immer wieder Erlanger vorbeikommen, die die Rolle ernst nehmen, und uns wirklich einfach nur Tüten mit Überlebenskost spenden, ohne etwas dafür zu wollen. Selbst Frau Haberer ist ein solcher Konzeptbrecher!
Richtig stolz sind wir, als uns neue Kopfkissen und eine Shisha als Bezahlung einfallen, aber irgendwann wird das Ausdenken von Bezahlungen fast kreativ fordernder als Texten, Zeichnen, Komponieren. Zu spät fällt uns ein, den Mäzenen aufzutragen, uns zu überraschen – Einer bringt uns ein Sekt-Tablett mit Kerzen und einer weißen Rose, einer professionelle 15min-Massage-Sessions für alle Kastenwesen. Steigerung der Lebensqualität im Kasten, der Rest liegt bei euch!
Einerseits war da der Impuls, die Rahmung ernst zu nehmen, diese Marktbedingungen durchzuspielen und nach dem Wert von Kulturprodukten zu fragen. Dann hätten wir aber schon Donnerstag früh die Füße hochlegen sollen. Andererseits der Impuls, möglichst viele tolle Sachen für Leute zu produzieren (zumal es richtig spannende Aufträge gibt). Eine paradoxe Situation: Würden wir unsere auferlegten Rollen und das Konzept der Performance richtig ernst nehmen, müssten wir uns auf die faule Haut legen. Wollen wir uns aber für Ideen und Konzepte begeistern, müssen wir rund um die Uhr arbeiten, weil das mehr Spaß macht!
Letztendlich löst sich das Problem fast von alleine: Zu viele Mäzene kommen mit bereits besorgten Waren vorbei, anstatt vorher anzufragen, ob aktuell Bedürfnisse herrschen. So jemand schickt man nicht weg, zumal, wenn es sich um Selbstgekochtes oder liebevoll zusammengestellte Pakete handelt. Also nehmen wir an. Also machen wir noch mehr Comics, noch mehr Bilder, noch mehr Texte, und füllen unsere To-Do-Listen in zweistellige Bereiche.
Mit Gegenwert hat das schnell nichts mehr zu tun. Die neue Währung wird die Frage, wie sympathisch man sich gegenseitig ist, wieviel Begeisterung man für einen potentiellen Auftrag aufbringt, und wieviel Begeisterung potentielle Kunden an den Tag legen. Das wird uns vermutlich für das echte Leben außerhalb des Kastens keinerlei erhoffte Einsichten bringen. Vielleicht aber auch schon.

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